Erfüllte Hoffnung im Schutz von Zivilcourage

Eine außergewöhnliche Zwangsarbeiter-Geschichte.

Selbst bei der im Arc de Triomphe von Paris festgehaltenen Schlacht bei Neresheim im Jahre 1796 gab es keine Schäden am Barock-Ensemble der Sommer-Residenz der ehemals souveränen Reichsprälaten.

Der II. Weltkrieg kam jedoch unmittelbar nach Hochstatt und zeigte sein Menschen verachtendes Gesicht schon ab 1940 mit der Ausbeutung von Kriegsgefangenen als Zwangsarbeiter.

 

1916, zu Zeiten des I. Weltkrieges geboren, wurde der junge Mann mit 24 Jahren zu den Waffen gerufen. Der II. Weltkrieg tobte in Mittel-Europa, als er in den Krieg musste, da sein Vaterland von Deutschland überfallen worden war.

Im Herbst 1940 kam er in deutsche Kriegsgefangenschaft und wurde wie Andere zur Zwangsarbeit nach Hochstatt verbracht.

Anton Mettenleiter jun., der letzte fürstliche Gutsverwalter auf der ehemaligen Sommer-Residenz, war damals 12 Jahre jung, als sein Vater (*1893, †1965) Hochstatt führte und kannte sie alle, die fünfzehn Kriegsgefangenen. - Mettenleiter sen. hatte schon 1936 den beachtlichen Mut den erwarteten Eintritt in die SA abzulehnen.

Kein belangloser Schritt, und es kamen noch schwierigere Zeiten.

Kriegszeiten, die sich auch auf dem Lande schon vor 1939 bemerkbar machten. So mussten der Anbau des Schweinestalls, 1938 an die Westfassade des Barockhauses sowie der Bau der sechs weiteren Schweineställe, zügig erfolgen. Man ahnte nämlich, dass die Einberufung von Maurern, Zimmerleuten und vielen anderen jungen wehrfähigen Männern zum Militärdienst unmittelbar bevorstand. Zur anschließenden Bewirtschaftung der fertig gestellten Bauten standen dann jedoch keine jungen Deutschen mehr zur Verfügung. Sie mussten – und nicht wenige wollten – in Europa und weit darüber hinaus die sogenannte Überlegenheit der arischen Rasse Hitler-Deutschlands unter Beweis stellen.

Das Ergebnis ist bekannt.

Da Nazi-Deutschland nicht nur gegen ein Volk mörderische Kriege führte, verschaffte es sich rasch viele Millionen Häftlinge als Zwangsarbeiter aus den unterschiedlichsten Ländern zur obligaten Stützung seiner Wirtschaft.

In Nazideutschland verwandte man für solche Leute nicht das Wort “Zwangsarbeiter“, sondern bezeichnete sie als “Fremdarbeiter“ – gerade mal so als wären diese Menschen freiwillig da, um unentgeltlich zu schuften.

Auf Hochstatt waren es drei Polen, drei Russ/innen und neun Kriegsgefangene vom Erzfeind Frankreich mit zumeist landwirtschaftlicher Berufsausrichtung.

 

Sie wurden der fürstlichen Domänenverwaltung und einem Wachmann unterstellt. Diese und die Zwangsarbeiter erhielten vor Ort zusätzlich unregelmäßige und unangemeldete Kontrollen durch wechselnde Trupps von Wehrmacht und Gestapo. Die Häftlinge hatten bei der Feldarbeit zu helfen. Ohne Maschinen eine harte Arbeit, ein Knochenjob für jeden Einzelnen von früh morgens bis spät abends, bei Wind und Wetter. Sie lebten unter großen Entbehrungen wahrlich spartanisch und doch: Irgendwie waren die Kriegsgefangenen in Hochstatt vermutlich relativ besser aufgehoben als die Zwangsarbeiter in Bergwerken oder der chemischen Industrie. Unabhängig davon muss es hier aber keine Unterdrückung sondern einen besseren menschlichen Umgang als andernorts gegeben haben.

Krieg, Leid und Tod außerhalb der deutschen Grenzen trafen auch das fürstliche Haus. Prinz Anselm erlitt den Soldatentod in der Ukraine und sein Vetter Erbprinz Gabriel fiel als einfacher Gefreiter ebenfalls fern der Heimat, am 17. Dezember 1942 bei Stalingrad.

Nach der Bombardierung kriegsrelevanter Ziele tauchten zum Ende des deutschen Krieges vermehrt Jagdgeschwader im Tiefflug über dem Härtsfeld auf: Eine massive Bedrohung für alle Menschen auf Hochstatt, mitsamt seinen Häftlingen. Darunter auch der Kriegsgefangene Six, der hier nun schon viereinhalb Jahre und fern der Heimat Zwangsarbeit verrichten musste.

Der Weltkrieg kam unmittelbar und mit voller Wucht nach Hochstatt: Am Montag, den 16. April 1945 näherte sich eine Armada „fliegender Festungen“ dem Härtsfeld. Einige der amerikanischen Langstreckenbomber rasten gegen 15 Uhr 30 aus östlicher Richtung auf das kleine Hochstatt zu und griffen dieses Mal tatsächlich an.

Es hagelte Bomben und es folgte Einschlag auf Einschlag. Das ohrenbetäubende Bombardement für die paar Gebäude umfasste sechs Fünf-Zentner-Bomben und drei leichtere Sprengbomben. Als sich die, durch die heftigen Detonationen verursachten, riesigen Staubwolken verzogen hatten, konnte man es kaum glauben: Alle hatten überlebt und wie durch ein Wunder war niemand verletzt. Auch nicht der 29-jährige Robert Six aus Frankreich. Bei allem Leid war dies, auch Glück im Unglück und machte Hoffnung für die kommenden Tage.

Das krasse Gegenteil jedoch traf den 16-jährigen Anton Mettenleiter, denn er erhielt einen Stellungsbefehl für einen längst verlorenen Krieg. Dass er auf den Befehl nicht reagierte war sehr riskant.

Man braucht hierzu nur an die grausame Geschichte der Männer von Brettheim zu denken ... So wurde Leonhard Wolfmeyer, der Vater meiner ersten Klassenlehrerin wegen Befehlsverweigerung und Wehrkraftzersetzung noch am 10. April 1945 hingerichtet.

An allen Hochstatter Gebäuden gab es massive Zerstörungen. Erstaunlicher Weise wurde das Barockhaus als größtes Gebäude am wenigsten beschädigt. Stattdessen wurde die in der Anfluglinie davor stehende Remise total zerstört, wie auch sämtliche Dächer, Fenster die Wasserleitung und die Zufahrt.

 

 

Das knapp 20 m südlich vom Barockhaus geborgene 5-Zentner-Bomben-Exemplar
Das knapp 20 m südlich vom Barockhaus geborgene 5-Zentner-Bomben-Exemplar

 

Es war für den Verfasser nicht zu eruieren, was für einen Zünder der im Juni 1953 geborgene Blindgänger hatte. An Hand der entsprechenden Medienberichte über die Bergung solcher Bomben nebst den hierfür nötigen Evakuierungen kann man sich jedoch vorstellen, welches Verwüstungspotential solch ein 250 kg-Sprengkörper in sich birgt.

 

Auf Grund der wahrscheinlich weniger strengen Überwachung der Hochstatter Zwangsarbeiter waren diese im letzten Kriegsjahr wohl besser informiert als ihre Aufseher. Die Gefangenen hatten es nämlich geschafft sich einen primitiven Detektorempfänger zu basteln – zu jener Zeit, insbesondere für Häftlinge ein absolut lebensbedrohliches Unterfangen. Mit der primitiven Vorrichtung konnten sie bei Gelegenheit zeitweise sogenannte und streng verbotene “Feindsender“ hören. - In den letzten Wochen wurden sie jedoch erwischt!

Das Vorhaben war eindeutig, zumal schon der Versuch allein unter Strafe stand. Die Häftlinge demonstrierten, dass die Apparatur technisch angeblich nicht funktionierte. Der Kontrolltrupp der Gestapo war nicht vor Ort und der fürstliche Gutsverwalter Anton Mettenleiter sen. meldete Nichts, sondern hoffte, dass ihn Niemand verrät.

 

 

Das war für ihn persönlich äußerst gefährlich, denn selbst der spätere Fürst Karl August war schon am 8. August 1944 verhaftet worden weil er wegen dem Hören von Fremdsendern denunziert worden war.

 

Nun denn, dann kam Sonntag, der 22. April 1945 und mit ihm rückten endlich die Amerikaner auf Hochstatt ein. Die erhoffte Freiheit kam per Jeep und mit dem Maschinengewehr im Anschlag. Das lang ersehnte Ende von Kriegsgefangenschaft, Zwangsarbeit und Unterdrückung war nicht nur für die fünfzehn Menschen wahr geworden. Die drei Polen kehrten Hochstatt tags darauf den Rücken. Und auch die Franzosen machten von der zurück erhaltenen Freiheit innerhalb von 48 Stunden Gebrauch und verließen Hochstatt.

Das galt auch für Monsieur Six aus Nancy in Frankreich. Zusammen mit den anderen acht Franzosen machte er sich auf in seine geliebte Heimat. Die Russen, unter ihnen zwei Mädchen wollten noch bleiben, mussten aber zurück nach Russland. Später erfuhr man, dass solche Rückkehrer in Stalins Sowjetunion als Versager galten und sie deshalb zumeist ein schlimmes Schicksal ereilte. Mit den Russen und Polen gab es in Folge des Eisernen Vorhangs keinen Kontakt mehr. Dieses Hindernis existierte für die Franzosen nicht.

Die Kommunikation von 1940 bis 1945 auf Hochstatt mit den Sprachen polnisch, französisch, russisch und schwäbisch war vermutlich nicht gerade einfach, wodurch Körpersprache und Mimik eine zusätzliche und wichtige Bedeutung erlangten.

 

 

Mit den Zeitzeugen, Mitte der 1950er Jahre vor dem Süd-Eingang in Hochstatt, v.l. Irmgard Mettenleiter, Robert Six, Anton Mettenleiter sen. und seine Ehefrau Anna sowie Anton Mettenleiter jun. Vorne die beiden Kinder der Familie Six, Marie-Claude und Jean
Mit den Zeitzeugen, Mitte der 1950er Jahre vor dem Süd-Eingang in Hochstatt, v.l. Irmgard Mettenleiter, Robert Six, Anton Mettenleiter sen. und seine Ehefrau Anna sowie Anton Mettenleiter jun. Vorne die beiden Kinder der Familie Six, Marie-Claude und Jean

 

Unabhängig davon wie es Zwangsarbeitern alio loco erging:

Der Umgang mit den fünfzehn Ausländern auf Hochstatt muss trotz der beängstigenden Brutalität der Hitler-Diktatur über die ganzen Jahre human gewesen sein. Insbesondere bei den unangemeldeten Kontrollen merkten die Häftlinge, dass es nicht bloß um ein bisschen Zivilcourage ging. Diese Zwangsarbeiter wussten um den schmalen Grat und warum sie nach ihrer Befreiung gerade nach dort Verbindung hielten, wo sie als Kriegsgefangene inhaftiert waren.

Insofern geschah - auch überregional gesehen - vermutlich Einmaliges mit diesen Zwangsarbeitern: Sie wollten den Kontakt zu ihrem ehemaligen Aufseher Anton Mettenleiter und seiner Familie nicht verlieren, denn entgegen den verbrecherischen Befehlen herrschte auf Hochstatt dadurch kein Klima von Angst und Schrecken.

Die Bilder von Hochstatter Zwangsarbeitern in den Jahren von 1940 bis 1945 belegen dies in bemerkenswerter Weise: Sie zeigen die Kriegs Gefangenen auf allen Bildern locker und entspannt.

 

Zwangsarbeiter ...
Zwangsarbeiter ...
beim Ballspiel ...
beim Ballspiel ...
in der Laune für Akrobatik ...
in der Laune für Akrobatik ...
oder lässig mit Krawatte ...
oder lässig mit Krawatte ...
          und an Weihnachten.
und an Weihnachten.

So sandten sie nach ihrer Befreiung nicht bloß eine Karte, nein sie kamen in losen Abständen sogar zu Besuch nach Hochstatt.

Monsieur Six, Monsieur Jean Bassot (*1917), Monsieur Georges Mouton (*1917) und der Feinmechaniker André Thomas (*1918).

 

Lange bevor Adenauer und de Gaulle die deutsch-französische Freundschaft ausriefen, wurde genau jenes Ziel von diesen Menschen und den Mettenleiters über 1945 hinweg weiter gelebt.

Nochmals: Es ist mehr als selten, dass Gefangene nach Ende eines solch verbrecherischen Krieges ausgerechnet mit Denen Kontakt pflegen, bei welchen sie als Zwangsarbeiter inhaftiert waren.

So sah man sich mit Frau, den kleinen Kindern und den dann erwachsenen Kindern über all die Jahre immer wieder auf Hochstatt, wo man selbstverständlich auch übernachtete oder in Frankreich.

Die aus der Kriegszeit erwachsene Freundschaft mit der Familie Robert Six hat nun bereits über 73 Jahre Bestand. 2012 wollte Monsieur Robert Six unbedingt noch einmal die Mettenleiters sehen. Deshalb kam er mit nunmehr über 96 Jahren gerne wieder an jenen Ort an dem eine lebenslange Freundschaft mit Kriegsgefangenschaft und Zwangsarbeit begann: Hochstatt.

So empfindet es Monsieur Robert Six und seine Familie als schön, dass sie das Hochstatt-Buch von 2011 erhalten haben, in dem auch ein bemerkenswerter Teil der besonderen Lebensgeschichte ihres Vaters Erwähnung findet.

Im Übrigen hat sich sein Sohn Jean Paul schon lange darauf gefreut in Hochstatt wieder eine Runde Golf zu spielen. Der 26. September 2012 war ein Sonnentag und dafür wie geschaffen.

 

Monsieur Robert Six mit den Ehepaaren Anton († 2015) und Irmgard Mettenleiter sowie Margarete und     Konrad Scheuermann im Garten der Mettenleiters in Neresheim
Monsieur Robert Six mit den Ehepaaren Anton († 2015) und Irmgard Mettenleiter sowie Margarete und Konrad Scheuermann im Garten der Mettenleiters in Neresheim

 

Das entscheidende und nachhaltige Fazit dieser außergewöhnlichen Geschichte gebührt jedoch dem betroffenen Zeitzeugen.

 

Monsieur Robert Six schrieb mir am 17. Oktober 2013 per Hand:

 

»Ich muss zugeben, dass mein Leben in Hochstatt nicht zu schwer war« und dass Herr Mettenleiter uns nicht wie Kriegsgefangene, »sondern als Angestellte betrachtete. Es war der Anfang der Versöhnung!«

 

Konrad Scheuermann

Anmerkung:

Als ich Monsieur Robert Six am 15. April 2016 telefonisch zu seinem 100. Geburtstag gratulierte sagte er: »Nach Möglichkeit möchte ich gerne noch einmal nach Hochstatt und zu Mettenleiters kommen.«

 

 

Von meinen Recherchen berichteten:

 

Die SCHWÄBISCHE POST am 29. Mai 2013

DONAU-ZEITUNG / Augsburger Allgemeine am 24. Juni 2013

IPF- und JAGST-ZEITUNG / Aalener Nachrichten am 17. August 2013

Die HEIDENHEIMER ZEITUNG / Heidenheimer Neue Presse am 5. April 2014